Nach wie vor wird in Deutschland sehr viel Radio gehört, zunehmend auch über das Internet. Die schon gar nicht mehr so neuen Streaming-Angebote existieren nebenher und die Hörer-Bindung zu den lokalen Sendern scheint noch intakt. Das wird nur durch hohen Arbeitseinsatz der Hörfunk-Journalistinnen und -Journalisten ermöglicht. Wer heute Radio macht, macht auch Internet und twittert und postet. Denn so geht Hörer-Bindung heute.
Die Radionutzung in Deutschland hat sich nach einem leichten Anstieg auf einem hohen Niveau eingependelt. Nach wie vor hört fast jeder in Deutschland werktags Radio – und dabei bleiben die Hörer eines Senders ihm mehr als vier Stunden lang treu (249 Minuten) wie Messungen der agma, Arbeitsgemeinschaft Mediaanalyse e.V. aus Frankfurt, zeigen. Der Mittelwert, also die durchschnittliche Hördauer aller Bundesbürger wächst wieder um eine Minute, auf drei Stunden und 19 Minuten. Somit ist das Radio „das einzige klassische Medium, das trotz der zunehmenden medialen Konkurrenz auch in jungen Zielgruppen unverändert – oder sogar noch etwas stärker – genutzt wird“, sagte dazu Dieter K. Müller, Vorstand Radio der agma.
Insgesamt gibt es mehr als 390 Radiosender in Deutschland. Davon sind 230 private und 63 öffentlich-rechtliche Radioprogramme. Laut ma 2014 Radio II sind Radio NRW, Antenne Bayern und SWR 3 bundesweit die reichweiten-stärksten Radioprogramme.
Zu den beliebtesten Musikrichtungen im Radio zählen laut einer WDR-Erhebung Hits der 1990er und 2000er Jahre, die Charts von heute und Techno. Insofern bleibt auch in Baden-Württemberg SWR 3 die klare Nummer eins. Ebenfalls deutlich gewonnen hat der Jugendsender „Das Ding“: Mit einem Zuwachs von 19,9 Prozent verbesserte man sich auf 283.000 Hörer und Platz 9. Nach unten ging es hingegen für die größten Privaten: Antenne 1 und Radio Regenbogen.
Dabei ist das Internet ein zunehmend wichtiger Verbreitungsweg für das Radio. Gleichzeitig bekommen die Radiosender durch den Streaming-Markt eine ganz neue Konkurrenz.
Nicht nur Spotify, iTunes oder das Apple Radio, sondern auch Plattenfirmen stellen ihre Angebote zur Verfügung. Dies veranlasst nun 140 private Radiosender aus Deutschland, ihr eigenes Streaming-Portal unter dem Namen Radioplayer aufzubauen, Vorbild ist der UK Player in Großbritannien. Verschiedene Softwareentwicklungen und Apps stellen die Briten dem Non-Profit Projekt zur Verfügung. Ein wichtiger Aspekt dieser Initiative: Bislang werden ihre Inhalte von Anbietern wie Radio.de oder Phonostar vermarktet, mit ihrem eigenen Stream in Dienst, der auch Podcasts beinhalten soll, würden sie die digitale Verbreitung ihrer Inhalte wieder unter eigener Regie bringen.
Aufstehn und Anschalten
Das alles mag schön und gut sein. Hat aber Radio nicht vor allem etwas damit zu tun, aufzustehen und den Knopf zu drehen oder auch auf dem Weg zur Arbeit das Autoradio einzuschalten? Unter den aktuellen Wettbewerbsbedingungen wird diese tradierte Form des Radiohörens wohl eines Tages verschwinden. Das digitale Radio hat ein Modell, dem gegenzusteuern. Es will durch „nahtlosen Empfang“ eines Senders die Hörertreue befördern: Der Sender, den man zum Frühstück eingeschaltet hatte, wird auch mit dem Autoradio weitergehört – auch wenn man das Empfangsgebiet verlässt – und steigt man man aus dem Auto aus erreicht einen der Sender über das Smart-phone. So soll die Zukunft aussehen.
Aktuell wird Radio in Deutschland noch vor allem über die Geräteantenne gehört. Auch bringen diese technischen Voraussetzungen eine gewisse Trägheit mit sich und sorgen für Hörertreue durch vorein-gestellte Sender und regionale Verfügbarkeit. „Die meisten Hörer kommen immer noch über die normalen Wege wie die UKW-Frequenz oder das Kabelnetz“, sagt Simon Jägersberger, Moderator beim Ortenau-Hit-Radio OHR.
Das Internet sei im Moment für regionale oder von der Region abhängige Sender kein so großer Wettbewerbsfaktor: Natürlich nutzten viele dieser Hörer dann auch den Online-Stream, zum Beispiel an ihrem PC. Sehr viele Internet-Hörer seien aber Menschen, die früher mal in der Region des Senders gewohnt haben und weggezogen sind. Sie nutzen den Online-Stream, um über die alte Heimat auf dem Laufenden zu bleiben.
UKW verliert, wenn auch auf hohem Niveau
Dieser Eindruck wird von den aktuellen Zahlen bestätigt: UKW verliert, wenn auch auf hohem Niveau. War UKW 2013 noch für 78,6 Prozent der dominierende Verbreitungsweg, sank die Zahl 2014 auf 75,1 Prozent. Auch hier legten Internetradio (von 6,2 auf 9 Prozent) und DAB/DAB+ (von 0,5 auf 1,1 Prozent) zu. Laut den Zahlen von Teltarif. hat UKW vor allem bei jüngeren Nutzern und Hörern mittleren Alters verloren: Während die 14- bis 29jährigen hier eher auf Internetradio umgestiegen sind, konnte DAB/DAB+ vor allem bei 30- bis 39-jährigen zulasten der klassischen UKW-Verbreitung zulegen.
Aus der Digitalisierung erwachsen ungeheuer viele Möglichkeiten für die Radiosender, doch die schleichende Veränderung der Gewohnheiten birgt auch Risiken: Die Hörerinnen und Hörer haben mit ihrem Smartphone nicht einfach ein zusätzliches Empfangsgerät in der Hosentasche, sondern einen Strauß von Möglichkeiten, in dem das herkömmliche Radio nur ein Angebot unter vielen ist und lernen muss, sich zu behaupten.
Beliebte Musik-Streaming-Dienste sorgen für unkomplizierte Hintergrundmusik im bevorzugten Genre und dazu wird einfach das Smartphone an einen Verstärker angeschlossen. Und so hat sich der Wettbewerb massiv geändert. Radiosender konkurrieren nicht mehr mit dem Sender, der eine 10-Grad-Drehung am Frequenzknopf entfernt ist, sondern mit spezialisierten Programmen. Und alle zusammen konkurrieren im Internet. Man kann via Internet Tausende von Radioprogrammen empfangen: Salsa direkt aus Havanna, Jazz direkt aus New Orleans, Blues direkt aus Chicago … Für jeden Wunsch gibt es spezialisierte, kompetente Sender.
Doch Radio ist weit mehr als nur Musiksendungen. Und neue Medien haben schon immer die alten Medien an den Rand gedrängt. In den 1920er Jahren bewirkte das Radio, dass Zeitungen nur noch einmal pro Tag und nicht mehr, wie bis dahin üblich, mit mehreren Ausgaben täglich erschienen. Seine Nachrichten konnten direkt „in den Äther“ gesprochen werden und mussten nicht mehr gedruckt und verteilt werden.
Kontinuierlicher Informationsstrom und schneller Austausch
Heute hat das Internet die stündlichen, getakteten Nachrichten zu einem flexiblen und kontinuierlichen Strom von Informationen verwandelt. Seine Verfügbarkeit rund um die Uhr hat unsere Ansprüche erhöht und unsere Geduld nicht vergrößert.
Dazu kommt, dass Informationen aus den unterschiedlichsten Kanälen auf uns hereinprasseln. Ob man sich nun für eine stündlich dosierte Nachrichtentaktung aus dem Radio, eine Information-on-de-mand Lösung via Internet, das klassische Modell mit Zeitung morgens, Tagesschau abends entscheidet oder darauf wartet, dass die Social Media einem die relevanten Nachrichten auf das Mobiltelefon pushen, eines haben alle gemeinsam: Jede und jeder verlässt sich auf Journalisten, die das Weltgeschehen und die lokalen Nachrichten für das jeweilige Medium aufbereiten, sortieren und einordnen – egal ob sie sonst Hörfunk, Fernsehen oder Zeitung machen.
Zusätzlich werden diese Angebote nicht als Einbahnstraße konzipiert, sondern verlangen auch Reaktionen und Austausch mit den Hörerinnen und Hörern. Für den 34-jährigen Jägersberger vom Ortenau-Hit-Radio spielen die Social Media-Angebote eine zentrale Rolle. Vor allem Facebook sei ein gutes Mittel, um mit den Hörern und ’Fans‘ in Kontakt zu kommen und zu bleiben. „Daraus ergeben sich häufig Themen und man erfährt auch vieles über seine Hörer, weil eine direkte Kommunikation möglich ist. Das nutze ich häufig, um eine engere Bindung zum Hörer aufbauen zu können.“
Günther Laubis ist seit den frühen Neunzigern beim SWR. Er arbeitet in verschiedenen Schichten, da er sowohl für SWR Info, für SWR3 und für SWR2 tätig ist. Beim Radio zu arbeiten war schon immer sein Traum, seit er als Jugendlicher gemeinsam mit seinen Freunden die ersten Piratensender gemacht hat. Doch der Traumjob hat mit seinen wechselnden Schichten auch eine Kehrseite, seine Freunde sagen: „Du arbeitest doch sowieso immer.“
Auch für Laubis spielen die sozialen Medien eine große Rolle. „Für Twitter haben wir nun eine extra Redaktionsabteilung gegründet, in der sich zwei Kollegen ausschließlich um relevante Twitter-Mel-dungen kümmern und unsere eigenen Tweets absetzen.“ Denn Redakteure heute hätten nicht mehr nur die täglich etwa 3.000 Agenturmeldungen und die Korrespondentenberichte im Blick, sondern darüber hinaus auch das Hörer-Feedback und Twitter und Facebook. „Denn wer heute Nachrichtensendungen macht, muss wissen, was zu einem be stimmten Thema in den sozialen Medien diskutiert wird.“ Und so habe sich durch das Internet die tägliche Arbeit der Nachrichtenredakteure stark verändert, erläutert Laubis: „Bisher war es ihre Arbeit, Nachrichten für die nächste Sendung zu schreiben. Jetzt aber gibt es Twitter und Facebook und besonders wichtige Meldungen werden also nicht erst zur nächsten vollen Stunde recherchiert und geschrieben, sondern zusätzlich zeitnah, zielgruppengerecht und entsprechend der dort möglichen Form für Twitter und Facebook geschrieben und darüber ausgespielt.“
Journalisten schaffen die beliebtesten Informationsquellen
Diese Sorgfalt wird belohnt. Die beliebtesten Informationsquellen im Internet sind laut einer Bitkom-Untersuchung Webseiten von Radio- und TV-Sendern. Die Hälfte der Internetnutzer (49 Prozent) greift darauf zurück, darunter am häufigsten Personen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren (61 Prozent). Damit rangieren die Seiten von Radio und Fernsehen noch vor den Webseiten von Tageszeitungen und politischen Magazinen, die von 42 Prozent bevorzugt konsultiert werden. Nach Laubis Ansicht bietet die Digitalisierung gewaltige Vorteile für den Hörfunk, das Problem sei nur, „dass wir für die zusätzliche Arbeit – aus meiner Sicht – dringend zusätzliche Fachkräfte brauchen. Was in Zeiten der sehr engen finanziellen Ressourcen sicher ein Problem darstellt.“ Einer der großen Vorteile dagegen seien die Mediatheken. Ein großer Gewinn sei, dass sich die eigene Arbeit nicht mehr so versendet. So kann jemand, der einer Sendung vielleicht nur mit halbem Ohr lauschen konnte, später noch mal alles im Detail nachhören und so wird auch die eigene Arbeit besser gewürdigt. „In vielen Beiträgen steckt sehr viel Herzblut und es ist schade, wenn sie nur einmal laufen“, sagt Laubis und fügt an: „Ich fände es auch gut, wenn man die Nachrichten nicht nur nachhören, sondern auch nachlesen könnte auf unserem Internetauftritt.“ Und auch Jägersberger schätzt die Podcasts, auch wenn sie seiner Ansicht nach im Lokalradio nicht so häufig genutzt würden wie vielleicht die Angebote überregionaler Anbieter. Aber trotzdem: „Häufig sind Podcasts eine Möglichkeit für Interviewpartner und deren Freunde und Bekannte, ihren Auftritt im Radio einfach noch mal nachzuhören.“
Im Mannheimer Technikmuseum „TECHNOSEUM“ entsteht eine der bedeutendsten Sammlungen zur Rundfunk- und Mediengeschichte. In Zukunft wird man sich in Mannheim vor den unzähligen Radioempfängern retten müssen. Die Extra-Geräte braucht man nicht mehr, um Radio zu hören. Heute reicht der PC, das Tablet, das Smart-TV oder eben das Smartphone. Schön praktisch, dass man nur noch ein kleines Gerät braucht und damit sowohl Radio hören, fernsehen, Musik streamen, Briefe schreiben, Fotos sortieren, sein Aktiendepot verfolgen und Nachrichten twittern und posten kann. Und diese kleinen elektroni chen Geräte haben eine ungeheure Überzeugungskraft: Laut einer Bitkom-Untersuchung nutzt in Deutschland gut jeder Zweite ab 14 Jahren ein Smartphone (55 Prozent). Vor einem Jahr waren es erst 41 Prozent der Bevölkerung.
In Zukunft werden all die vielen verschiedenen Journalistinnen und Journalisten von den unterschiedlichsten Medien mit den unterschiedlichsten Kompetenzen auf ein- und demselben handtellergroßen Bildschirm um die Aufmerksamkeit der Rezipienten konkurrieren und, wenn möglich, in Dialog mit ihnen treten. Wer wissen will, wie das weitergeht, für den hat der bekannte Medientheoretiker Marshall McLuhan einen Hinweis, den er schon lange vor der Entwicklung von Smartphones formuliert hat: „Wir formen unsere Werkzeuge, und dann formen die Werkzeuge uns.“ So oder so, wir haben es (im wahrsten Sinne) in der Hand.
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