Das weite Feld von Journalismus bis Hochglanz-PR
Wer ausgehen will, geht erst mal ins Internet. Welche Veranstaltungen es gibt, erfährt man online, man kauft das Ticket online, speichert die dazu passende U-Bahn- oder Busverbindung. Auf Facebook kann man seine Aktivitäten online ankündigen, mal schauen, ob man dann nicht doch noch jemanden trifft, à propos, welche Bars gibt es in der Nähe und wie komme ich von dort dann ins Hotel? Auch Höhepunkte und Probleme der Regional- , Lokal- und Kulturpolitik werden immer häufiger online diskutiert. Kein Wunder also, dass die meisten der klassischen regionalen Kaufmagazine schon lange eingegangen sind.
Auch der Platzhirsch „Prinz“ verkündete im November 2012 die Einstellung seiner Print-Ausgabe. Nicht nur ist die Zielgruppe schlichtweg geschrumpft: Die geburtenstarken Jahrgänge sind nun über fünfzig, die neue ausgehfreudige „urbane, trendbewusste, mobile Generation“ heute ist deutlich kleiner. Aber viel wichtiger ist: Kleinanzeigen findet man heute besser online, auch die Partnersuche findet am Bildschirm statt. Zigarettenwerbung ist verboten — früher immer für mehrere ganzseitige Anzeigen gut. Zudem liegen immer mehr Gratis-Titel zum Durchblättern in Kneipen und Foyers bereit. Allerdings in höchst unterschiedlichen Qualitäten und mit überraschenden Erfolgen.
Schwäbisch urban, das Heilbronner Hanix-Magazin
Eines der erstaunlichsten regionalen Magazine kommt aus Heilbronn. „Hoher Bildungsgrad, konsumfreudig, medienaffin, kulturell interessiert“, so charakterisieren „Hanix, das Gesellschaftsmagazin aus Heilbronn“ ihre Zielgruppe. Ha nix, so lautet auf Schwäbisch die Antwort auf die Frage „was machsch grad“ liegt nach eigener Auskunft überall dort aus, „wo Menschen sich tummeln und begegnen“,
an etwa 1.000 Stellen in Heilbronn und Region. In ihren Mediendaten bezeichnen sie sich als multimedial, global und regional, schwäbisch urban, relevant, individuell, recherchierend, entdeckend und zielgruppenorientiert. 88 Seiten, davon ein knappes Viertel Werbung von „Porsche“ bis „fritz-spritz“. Seine Inhalte sind anspruchsvoll, seine Kulturtipps für die Region (Mannheim, Karlsruhe, Stuttgart inklusive) für die anspruchsvollen Leser sorgfältig kuratiert: Drei der elf ausgewählten Tipps in einer „best-offf-Ausgabe“sind die
Götz-Alsmann-Show in Schwäbisch Hall, die Marbacher Schillerwoche und eine Lesung Enoh Meyomesses im ZKM Karlsruhe.
Das ist in der Realität weniger elitär, als es hier vielleicht klingt. Im redaktionellen Teil erzählt ein Student aus Darmstadt über sein neues Leben in Heilbronn, stellt ein Musiker sein Lieblingsplakat vor, entdeckt ein Fußballfan im Rahmen der neu gestarteten Serie „Abenteuer um die Ecke“ ein Wettbüro, hinterfragt eine Doppelseite Heilbronns Eignung als Marke. Dazu Interviews und Reportagen aus den Ressorts Sport, Kultur, und Wirtschaft und – als Highlight im November – ein Interview mit den Rappern K.I.Z. anlässlich ihrer Tour „Hurra, die Welt geht unter“, womit Hanix auch überregionalen Spürsinn beweist. Die Redakteure schreiben mit leichter Hand, vieles entsteht in Interviews, so zum Beispiel ist das Filetstück des Titelthemas „Humor“ der N°39, der ersten aus der nun gedruckt regelmäßig erscheinenden Reihe, ein Gespräch mit dem gebürtigen Heilbronner Autor Oliver Maria Schmitt. „Endlich da!“ betitelt sodann die N°40 ihr Heftthema „Flüchtlinge“ und Hanix-Autoren besuchen dazu in Heilbronn eine Patenfamilie, den stellvertretenden Leiter des Sozialamts, eine Deutschstunde für Flüchtlinge. Das Interview des Monats wird mit dem OB geführt.
Hanix war 2011 als reines Online Magazin gestartet, ohne Verlag, als GbR mit Kleindarlehen aber einem hohen qualitativen Anspruch. Mucha, der von der Berliner „Elf Freunde“-Redaktion zurück nach Heilbronn kam, sagte, sein Anspruch sei höher gewesen, als er mit ihrem begrenzten Budget in Print realisierbar gewesen wäre. Die beiden Gründer machten keine Marktforschung, sondern entschieden sich aus einem Bauchgefühl für den S
tart des neuen Online-Magazins. „Wir wollten unabhängig sein, keinen Auftragsjournalismus schreiben und konnten uns auf eine wirtschaftsstarke Region stützen, die gleichzeitig eine hohe wirtschaftliche Dynamik aufweist durch die wachsende Universität, das Sciencecenter, die Bundesgartenschau 2019“, so Chefredakteur Robert Mucha. Dieser hatte zu Beginn des Experiments bei einem Interview in der Heilbronner Stimme noch behauptet, zwar sei thematisch alles möglich, nur würde eines nie passieren: „Dass wir in einer Print-Ausgabe erscheinen.“ Das hat der Erfolg des Magazins nun geändert. Zunächst druckten sie Best-Offf-Ausgaben, „dabei haben wir festgestellt, dass wir häufiger im Alltag der Menschen präsent sein müssen. Online ist es wesentlich schwerer, sich an uns zu erinnern. Außerdem sei der Anzeigenverkauf auf Papier wesentlich einfacher und das Feedback zeigt, dass die Aufmerksamkeit für Hanix deutlich erhöht wurde.“ wie Robert Mucha erklärt.
Das Magazin erscheint nun auf 100 hochwertigen haptisch angenehmen Seiten mit teilweise herausragenden Fotografien, die aber nie seitenfüllend auf sich aufmerksam machen, sondern immer gleichberechtigt neben dem Text stehen. „In Heilbronn gibt es schon Veranstaltungskalender im Pocket-Format, davon wollten wir uns durch hochwertige Produktion deutlich abheben. Ihr Veranstaltungskalender läuft auf siebzehn Seiten à 4 Spalten, mit Terminen aus Heilbronn, Stuttgart, Heidelberg, Mannheim, Neckarsulm und Karlsruhe. Das Magazin bietet drei Menschen einen Fulltimejob, zwei weitere arbeiten auf 450 € Basis, dazu kommen Freelancer für Text und Bild, so sind an jeder Nummer um die 20 Leute beteiligt. In manchen Fällen gibt es Bartergeschäfte, so dass jeder, der mitarbeitet, Honorar erhält oder geldwerte Leistungen. Das Anzeigengeschäft sei immer noch im Aufbau, sagt Robert Mucha, doch im großen Ganzen zufriedenstellend.
Geheimtipp Stuttgart: erst Facebook, dann Print
„Geheimtipp Stuttgart“, ebenfalls ein Gratismagazin, gibt es seit Oktober 2013 auf Facebook und nun seit einem Jahr auch gedruckt. Vier Magazine erscheinen pro Jahr jeweils zum Frühling, zum Herbst, zum Sommer und zum Winter. Geheimtipp versteht sich nicht als Stadt-, sondern als Lifestyle-Magazin. Auf die Frage, was denn nun mehr Arbeit mache, Print oder Online, antwortet Patrick Bulander, einer der drei Gründer: „Facebook läuft wie am Schnürchen, da haben wir aber auch ein¬fach ein Jahr mehr Erfahrung. Druck ist wegen der Abstimmungen und Freigaben deutlich aufwändiger.“
Die Stuttgarter Gründer-Redaktion besteht aus drei Freunden, die Geheimtipp Stuttgart ursprünglich neben Studium und Beruf betreiben. Doch der erste unter ihnen kümmert sich schon in Vollzeit um das Magazin, geplante weitere Geschäftsmodelle werden in absehbarer Zeit auch die anderen ernähren. Unterstützt wird die Redaktion von „Supportern“, die kein Honorar verlangen, sondern vor allem ihre eigene Bekanntheit steigern wollen -¬nicht zuletzt über die starke Facebook Präsenz. Facebook ist denn auch der große Mehrwert und das klare Verkaufsargument für die Partner und Sponsoren. Mit über 76.000 Facebook Fans zählt Geheimtipp Stuttgart damit zu einer der größten stuttgartbezogenen Facebook-Seiten und bietet eine überaus attraktive Reichweite. Die 88 Seiten starke Herbstausgabe enthält Anregungen für Sport, Mode, Einkaufen, Konzerte und Veranstaltungen. Da kann es allerdings schon mal vorkommen, dass auf der linken Seite die Geschichte eines Fitnessstudios erzählt wird und auf der rechten Seite eine Werbung dazu steht. Oder es gibt am Ende eines Blogs zum Thema „Besser leben“ einen Gutschein. Patrick Bulander erklärt dazu: „Hier fließt kein Geld. Wir kennen Daniel, er ist als Fitnesstrainer sehr bekannt und unsere Leser freuen sich über seine Tipps. So haben beide Seiten etwas davon“. Auch ein kleiner Comic kommt daher wie ein Bartergeschäft, mit dem auf den Zeichner aufmerksam gemacht wird. Die Trends für den Herbst (modisch gesehen) schreibt der Partner „Yeans-Halle“.
Solche Advertorials könnte man besser verdeutlichen, räumt Patrick Bulander im Gespräch ein. Doch so etwas wie eine redaktionelle Unabhängigkeit begreifen die drei Gründer anders, sie legen sie Wert auf folgende Feststellung: „Unsere Beiträge zu den Geheimti
pps beruhen auf Empfehlungen und Vorschlägen aus der Community sowie eigenen Erfahrungen und sind nicht käuflich.“ Das redaktionelle Konzept bietet keine Einschränkungen, ins Heft kommt, was der Redaktion gefällt. Und so sind die Inhalte des Magazins durch zwei Pole gesteuert: durch Beiträge der Partner und Sponsoren und durch auf Facebook „hochgelikte“ Geheimtipps. „Natürlich finanzieren wir unsere Druckkosten durch die Inserate, aber wenn es zu uns passt, bitten wir einen Inserenten, noch Inhalte für eine weitere Seite zu liefern.“, sagt Bulander. Mit „Geheimtipp“ haben die drei eine starke Marke in der Region Stuttgart aufgebaut. Facebook ist dabei ihr Erfolgsgarant, Reichweite ist ihr Geschäft. Sie lassen sich nicht direkt für ihre Posts bezahlen, aber wenn etwa Campari oder der ADAC auf der Seite erscheinen wollen, müssten sie den Reporter für seinen Aufwand entschädigen oder ein attraktives Gewinnspiel beisteuern. Solche Posts würden farblich von den anderen redaktionellen Beiträgen getrennt, erläutert Bulander. Geheimtipp entwickelt sich zu einem großen Erfolg. Für die Zukunft haben die drei große Pläne, zum Beispiel ist gerade eine App in Vorbereitung, die die Geheimtipps auf dem Smartphone verfügbar macht.
Stadtmagazine entstanden in 1970er Jahren
Stadtmagazine entstanden in den 1970er Jahren, als „Gegenöffentlichkeit“. Sie verstanden sich als publizistische Alternativen zu den Tageszeitungen, in deren Spalten über Lokalpolitik, Kinderläden, Demonstrationen und Hausbesetzungen, wenn überhaupt nur aus der Sicht des „Establishments“ berichtet wurde. Mit Namen wie Pflasterstrand, Plärrer, oder Zitty eroberten sich diese alternativen Projekte zunehmend Leserinnen und Leser, und wurden damit auch für die traditionellen Verlage interessant. In den Folgejahren wurden viele Stadtmagazine von etablierten Medienkonzernen gekauft.
Als 1989 der Jahreszeiten Verlag das Bochumer Ruhrgebietsszene-Blatt Prinz kaufte, ging es vor allem um den Anzeigenmarkt. Die Wochenzeitung die „Zeit“ analysierte: „Während die Szene-
Presse, einst angetreten mit der Intention von „Gegenöffentlichkeit für unterdrückte Nachrichten“, mit ihren Programm-Kalendern längst ein Faktor auf dem lokalen Werbemarkt geworden ist, ist der bundesweite Markt der Markenartikler bisher nicht zu knacken gewesen. Versuche, mit den beiden Zusammenschlüssen der Szene-Presse, der „Kombination Stadtillustrierte“ und der „Szene Programm Presse“ auch die großen Zigaretten-, Auto- oder Hifi-Unternehmen zum Inserat zu bewegen, wurden bislang eher dilettantisch betrieben.“ Die Verknüpfung gelang, die Kommerzialisierung trieb ihre bekannten Blüten, die Magazine wurden immer austauschbarer und partyorientiert. Als das Magazin Prinz 2012 einge-stellt wird, ätzt denn auch der Spiegel: “Deutschland ohne „Prinz“: Ausgehwütige Menschen irren ziellos durch die Städte, auf der Suche nach den coolsten Party-Locations? Wohl kaum. Denn die „Mutter aller Stadtmagazine“ war eigentlich schon immer nutzlos. Ihr Verschwinden ist eine Chance für echte, verwurzelte Regionalhefte.“
Übermorgen-Magazin: Nachhaltigkeit konkret gemacht
Vielleicht dachte der Spiegel-Autor an solche Magazine wie die damals noch nicht erschienenen Hanix (siehe oben) oder das Stuttgarter „Übermorgen“-Magazin. Dessen kleine Redaktion und ihre freien Mitarbeiter kommen in erster Linie vom Thema Nachhaltigkeit her. Seit Juli 2014 erscheint alle drei Monate das DIN A5 große Magazin in einer Auflage von 10.000 Stück und wird an ca. 120 Orten in und um Stuttgart ausgelegt. Ursprünglich war das Magazin geplant als Plattform und Vernetzungszentrum für die Nachhaltigkeitsagentur. In erster Linie wollten sie Geschäft für ihre eigene Agentur generieren. „Wir wollten Nachhaltigkeit mit Lifestyle verbinden und auf die Region herunter brechen“, sagt Dominik Ochs, einer der Gründer. In Stuttgart fanden sie dafür hervorragenden Nährboden und schon seit Beginn konnten sie fruchtbare Kontakte knüpfen, werden mit Anfragen überschüttet. So verstehen sie sich auch als Unterstützer der Nachhaltigkeit in der Region und beschränken sich dabei nicht auf ihr Magazin: „Nächstes Jahr werden wir einen Übermorgen-Markt auf dem Marienplatz organisieren und auch unseren eigenen Stand werden wir mit unseren Partnern gemeinsam bestreiten.“ Das Magazin ist vollständig über Anzeigen finanziert und wird auch kostenlos verteilt. Zu den Anzeigenkunden gehört genauso eine kleine Käserei aus Stuttgart, wie auch überregionale Ketten. Eingetragen werden diese Orte auch online in der „Stuttkarte“. Mitarbeitern werden nach Aussage der Redaktionsleitung korrekte Honorare gezahlt, niemand arbeitet ehrenamtlich, seit der dritten Nummer trägt sich das Magazin – mit einer zentralen Einschränkung: Die Gründer zahlen sich kein Gehalt für ihre Arbeit im Magazin. Auch daher suchen sie weitere Finanzierungswege wie etwa Veranstaltungen.
Sollte man also ein Stadtmagazin gründen, wenn man journalistisch unabhängig für ein schönes Produkt arbeiten möchte?
Ein klares Jein ist die Antwort. Leserinnen und Leser zahlen nichts für die Magazine, am Kiosk kaufen war gestern, erfolgsentscheidend ist die Werbung: Die Gratiskultur im Netz findet ihre Entsprechung (auch) in werbefinanzierten Regionalmagazinen. Der Stuttgarter „Geheimtipp“ hat, ausgehend von seinem starken Facebook-Auftritt, ein Alleinstellungsmerkmal entwickelt und kann gratis auf unentgeltlich arbeitende motivierte Zuarbeiter zählen. Genauso wie die Anzeigen- und PR-Kunden wollen auch sie von der Reichweite der fast 80.000 Facebook-Fans profitieren. Die „Übermorgen“ Magazinredaktion verfolgt eine zugespitzte Themen- und Zielgruppenorientierung im Feld Nachhaltigkeit, bei der das Magazin nur einen kleinen Teil der Aktivitäten dar-stellt. „Hanix“ macht ein engagiertes Regionalmagazin mit hohem Anspruch und verlässt sich auf das klassische und für Leserinnen und Leser durchschaubare Anzeigengeschäft. Und Robert Mucha, einer der beiden „Hanix“-Gründer, warnt: „Seid euch bewusst, dass ihr einen langen Atem braucht, wenn ihr ohne Verlag und unabhängig ein Magazin produzieren wollt. Ihr seid abhängig vom Standort und ihr werdet die Unterstützung von Freunden und Familien brauchen, ohne Hilfe ist das nicht zu stemmen.“
Susann Mathis
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